Initiative “Stolpersteine in Karben”
Juden in Rendel: Geschichte
Wir bedanken uns bei Herrn Helmut Heide
für die freundliche Genehmigung,
Auszüge aus "Die Rendeler Juden und ihre Schicksale"
(erschienen in "Karbener Heft Nr. 1 im Jahr 1974")
hier veröffentlichen zu dürfen.
Die Rendeler Juden und ihre Schicksale (Auszüge)
von Helmut Heide (1934-2014)
Die Rendeler Juden des 19. Jahrhunderts im Lichte der Statistik
Über die jüdischen Bürger, die im 19. Jahrhundert das Bauerndorf Rendel bewohnt haben, ist aus der
mündlichen Überlieferung, insbesondere für die ersten Jahrzehnte, nur wenig bekannt. Die Chronisten
sind hier auf die einschlägigen Aktenstücke im Archiv der ehemaligen bürgerlichen Gemeinde
angewiesen, die freilich erst ab 1823 geführt worden sind. … Es gibt aber im Archiv der Rendeler
Kirchengemeinde und in den auf uns überkommenen Amtsprotokollbüchern einige wenige Unterlagen,
die auf die Existenz einer jüdischen Bevölkerungsgruppe schon im 18. Jahrhundert hinweisen. Hierin
wird z. B. im Jahr 1792 Klage über die „Entheiligung der Sonntage“ durch Juden geführt, weil diese
Handelsgeschäfte getätigt hatten. …
Die amtlichen Unterlagen weisen besonders für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts auf folgende
jüdische Familien und ganz oder zeitweise von ihnen innegehabte Wohnstätten hin:
Die Eheschließungsprotokolle zeigen, dass die Rendeler Juden ihre Frauen keineswegs nur aus dem
eigenen Dorf und seinen Nachbarortschaften, sondern auch aus den angrenzenden Landkreisen, in zwei
Fällen sogar aus dem „Ausland“, Königreich Bayern und Herzogtum Nassau, geholt haben. Im einzelnen
ergeben sich folgende Herkunftsorte: Groß-Karben, Klein-Karben, Okarben, Heldenbergen,
Wachenbuchen, Langendiebach, Büdesheim, Mittelgründau, Erdmannrode (Hess), Kallstadt, Lachen-
Speyerdorf, Balduinstein. …
Von Beruf waren die Rendeler Juden, soweit aus den Akten und der auf ihr beruhenden Statistik
ersichtlich, Händler und befassten sich, wie betagte Ortsbürger noch zu berichten wissen, mit dem An-
und Verkauf von Vieh, Kartoffeln, Futtermitteln Getreide und Altwaren. Damit entsprach ihre berufliche
Struktur dem gleichen Bild, wie wir es auch von der jüdischen Bevölkerungsgruppe anderer
Landgemeinden gewohnt sind. … Auskünfte alter Rendeler besagen denn auch tatsächlich, dass sich die
meisten Juden sich tüchtig abplagen mussten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und es nur wenige
zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben
Bei der Untersuchung der Rechtsstellung kann man eine interessante Beobachtung machen: Bis 1850
werden die Juden durchweg als „Schutzjuden“ bezeichnet. Danach setzten sich immer mehr die
Bezeichnungen „Ortsbürger“ und „Staatsbürger“ durch, …
Seit dem Hochmittelalter mussten die Juden an den deutschen König, später an ihren Landesfürsten (bei
den freien Reichs-Städten an den Rat der Stadt), ein „Schutzgeld“ zahlen. Damit waren sie vom bisher
freien Menschen zum „Schutzjuden“ herabgesunken. Als solche dienten sie als bequeme und deshalb
begehrte Einnahmequelle. …
Vergleicht man die um 1890 ansässigen Familien mit denen der vorigen Statistik (oben), dann ergibt sich,
dass die Familien Grünebaum, Buxbaum und Binge weiterhin am Ort ansässig sind. … Neu
hinzugekommen ist der Name Weinberg, abgängig sind Simon und Markus. Die Zahl der Juden war also,
tendenziell gesehen, im Absinken begriffen. Die Gründe für diese Veränderung sind nirgends in den Akten
festgehalten, müssten jedoch in den wirtschaftlichen Verhältnissen … zu suchen sein:
Jahr
Juden in Rendel
1828
27
1871
46
1900
25
1910
21
1925
10
1949
1
Die Rendeler Juden im 20. Jahrhundert
In diesem Jahrhundert ist die Zahl der Rendeler Juden weiter zurückgegangen, im Jahr der
nationalsozialistischer Machtergreifung, 1933, waren es nur noch Max Grünebaum, seine Frau Katinka
Grünebaum, seine Schwägerin Berta Grünebaum (Hinweis der Website-Redaktion: Sie wohnten im
Gronauer Weg 4.
Nach dem Pogrom in Rendel flohen alle drei nach Frankfurt. Katinka und Berta starben in Frankfurt.
Max wurde in Auschwitz ermordet), Luis Scheuer mit Frau und seinen beiden Söhnen, von denen der eine,
ältere, Ernst hieß (Hinweis der Website-Redaktion: Luis Scheuer war der damalige Besitzer der
Scharmühle), ferner die letzte noch lebende Rendeler Jüdin mit Ihrer Mutter.
(Hinweis der Website-Redaktion: Gemeint ist Irene Weinberg (Untergasse 3), die nach dem Krieg ausgewandert ist
und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels von Herrn Heide im Jahr 1974 in Kanada lebte. Ihre Mutter Lea
Weinberg, Obergasse 12, wurde in Theresienstadt ermordet.)